Mal was anderes…
DER GOLDFISCH
Kin yü, der Goldfisch, stieg nach der chinesischen Überlieferung im zweiten Jahre der Regierung des Kaisers Ping Wang, das ist im Jahre 769 vor Christi Geburt, aus eine Quell hervor, der entsprungen war, als das Volk nach hundert Tagen Dürre den Himmel um Regen anflehte. Wie sollte es auch anders sein, als dass Kin yü, der in den Gartenteichen unter Lotosblüten in den schönen Spiegelungen der Sträucher bei rieselndem Mondlicht dahinzieht, er, der rot ist wie das Feuer, der funkelt wie die Sonnenscheibe und der das Gewölbte einer Rosenblüte hat, durch ein Wunder auf die Erde verzaubert wurde? Ob aber der Goldfisch zur Zeit der Tschou-Dynastie zu, Haustier gemacht wurde oder schon früher, ist nicht mehr genau zu sagen. Doch es geschah vor Jahrtausenden in China. Ein Fisch nahm die Farbe und Form einer poetischen Laune an, er trieb sanft und schimmernd dahin wie ein Boot mit Lampions.
Der Kopf wippt im Rhythmus der Schwanzschläge leicht von rechts nach links. Aber Kin yü ist nicht allein. Neben ihm schwimmen seine Gefährten. Über den Anblick konnte ein kontemplatives Gemüt mit halbem Bewusstsein träumen. Dann stieg der Entzückte aus dem Pavillon von Porzellan die Stufen aus Jade zum Wasser hinab. „An das Brückengeländer gelehnt, harre ich auf das Kommen der Goldfische. Den ganzen Tag kann ich erwartungsvoll auf und ab gehen und verweilen“, sagte der Dichter Su Tze Meh vor über 900 Jahren in seine Gedichte Die Pagode der sechs Harmonien.
Nach Europa gelangten die ersten Nachrichten durch den Schiffs-Chirurgen Engelbert Kämpfer aus Lemgo, der in den sechziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts nach Siam und Japan kam. In Japan hieß der Goldfisch Kin-Jo, und Kämpfer beschrieb ihn als fingerlang, rot, mit schönem goldgelben Schwanz; auch wusste er, dass die Jungen schwärzlich waren. Im Jahre 1691 wurden die Goldfische nach England gebracht. Der alte Seeweg von Ostasien führte über Batavia, Mauritius und dann um Südafrika herum nach St. Helena, Nach diesen Zwangsstationen hatten die Seeleute im Laufe der Jahre Goldfische mitgenommen und auch diejenigen, die 1728 abermals nach London gebracht wurden und sich dann dort fortpflanzten, stammten von St. Helena. Den ersten zuverlässigen Bericht über die Goldfische gab der Jesuitenpater Du Halde in seiner Description de la Chine, die 1735 in Paris erschien. Er sagte, die Fürsten und großen Herren von China ließen in ihren Gärten Teiche graben und hielten die Goldfische in Porzellangefäßen. Er beschreibt die Goldfische als brennend rot; auf dem Rücken seien sie wie mit Goldstaub bestreut, manche seien silbrig, andere weiß mit roten Flecken. Sie seien sehr lebhaft und spielten gern an der Oberfläche des Wassers. Gegen Wetterunbilden und Erschütterungen ihrer Behälter seien sie empfindlich. Sie würden zahm, so dass man sie mit einem Gong zur Fütterung rufen könne. Im Winter, der in Peking drei bis vier Monate dauere, brauche man ihnen nichts zu geben. Andere stelle man, um sie vor Kälte zu schützen, in die Häuser. Die vornehmen Besitzer fütterten sie selbst und verlören viel Zeit bei der Betrachtung der munteren Spiele. Ähnlich wie die Tulpen wurden die Goldfische nach ihrem ersten Bekanntwerden in Europa mit Gold aufgewogen und als Jeanne Antoinette Poisson im Jahre 1745 von Ludwig XV. zur Marquise de Pompadur gemacht wurde und die Schlüssel zu den Gnaden Frankreichs in die Hand hielt, ließ die französisch-indische Compagnie der geborenen Dame Poisson als ein sehr kostbares Geschenk einige Goldfische überreichen.
Früher hielt man die Karausche für die Stammform des Goldfisches. Doch haben die Untersuchungen des Japaners Y. Matsui wahrscheinlich gemacht, dass der Giebel, der in Japan Funa heißt, die Urform ist. Lange galt der Giebel nur für eine verkümmerte Karausche; jedoch hat er mehr Karpfengestalt, einen Knick im Nacken und ein größeres Auge. M. Gasowska nannte 1936 in der Zeitschrift für Fischerei den Giebel „die ostasiatische Silberkarausche“ und der russische Ichthyologe L.S. Berg sah den gestreckten Giebel der ostasiatischen Flüsse als mit dem Goldfisch identisch an. Im Jahre 1938 wies Otto Heuschmann in der Zeitschrift für Fischerei darauf hin, dass der Giebel, dem Berliner Fischforscher Marcus Elieser Bloch schon im achtzehnten Jahrhundert den Namen Carassius gibilo gegeben hatte, die Stammform ist und nicht die Karausche, Carassius carassius, die man in vielen Büchern als Wildform des Goldfisches angegeben findet. Giebel und Karausche, einander sehr ähnlich, sind auf den ersten Blick vom Karpfen zu unterscheiden, weil ihnen die Barteln fehlen. Die Karauschen sind nur wenig kälteempfindlich. Sie vertragen es, kürzer Zeit in Eis einzufrieren. Karl Knauthe schrieb 1891 in den Blättern für Aquarien- und Terrarienfreunde, dass die Temperatur nicht unter -3 bis -4 Grad Celsius fallen darf und dass die Fische nicht länger als eine Stunde in der Erstarrung bleiben dürfen, wenn sie später wieder um Leben aufwachen sollen. Experimentell ist jedoch noch nicht nachgewiesen, ob es nicht doch Fische gibt, die länger im Eis die Lebenskraft bewahren. Man sollte annehmen, dass sich die in den Geweben gelösten Salze bei längerem Einfrieren kristallisieren und dass die Zerstörung im Aufbau des Protoplasmas nicht wieder gut zu machen ist. Indessen wird immer wieder von eingefrorenen Fischen und insbesondere Karauschen berichtet, die nach dem Auftauchen quicklebendig fortschwimmen.
Die Goldfische sind empfindlicher und überstehen die mitteleuropäischen Winter nicht immer. Sie halten sich in dem milderen italienischen und südfranzösischen Winter viel besser. Die natürliche Nahrung sowohl der Karauschen wie der Giebel sind Insektenlarven, Molusken und Krebstierchen. Den Karauschen genügen die kleinsten Wasserlöcher, wenn der Boden lehmig oder schlammig ist, und wenn es Pflanzen nicht fehlt. Es stört sie nicht, wenn das Sumpfwasser schmutzig ist. Auch der ostasiatische Giebel ist fast mit jedem Wasser zufrieden. Da er mit Abfällen vom Tisch des Menschen leicht zu füttern war, konnte er zum Haustier werden. Der Goldfisch wäre nie gehegt und gezüchtet worden, wenn seine Schuppen nicht die Goldfarbe annähmen. Ein ähnlicher Chrysismus kommt auch bei anderen bräunlich-grünlichen Fischen vor. Wir sahen es schon bei den Schleien und Orfen. Neben den tiefroten Goldfischen gibt es in China weiße mit schwarzen Tupfen, schildpattgemusterte, silbergrüne, rot und blau gemaserte, schwarz-gold-silbern gebänderte und gescheckte.
In dem Frankreich der Rokoko-Zeit liebte man die glänzende Zur-Schau-Stellung der Goldfische. Scharlatane zogen von Markt zu Markt und ergötzten die Menge mit einer Kugelvase, in die ein zweiter Glasglobus eingeschlossen war; darin saß ein Vögelchen. Um dieses herum schwammen in er mit Wasser gefüllten Schichten die Goldfische, und die Schaulustigen hatten an der scheinbaren Vermischung der Elemente Spaß. Die Goldfischglocken, die sich in der Mitte bauschten und einen engen Hals hatten, prangten in den Salons des neunzehnten Jahrhunderts. Es war eine Quälerei für die fast erstickenden Fische. In den siebziger Jahren blühte in der Umgebung der Stadt Oldenburg die Goldfischzucht. Damals gab es dort sechzig Teiche, in denen nur Goldfische gehalten wurden. Dann gewannen die italienischen Züchtereien durch das günstigere Klima einen Vorsprung und lieferten viele Tausende von Goldfischen nach Nordamerika und allen Ländern der Erde. Ungefähr um das Jahr 1500 wurde der Goldfisch von China nach Japan gebracht. Die Japaner erreichen die Abwandlung der Gestalt durch künstliche Fischzucht. Sie nehmen von Goldfischen, die sie zur Nachzucht bringen wollen, ein Männchen und ein Weibchen aus dem Wasser und schütteln sie, mit Daumen und Zeigefinger pressend, gegeneinander. Die befruchteten Eier lassen die auf Wasserpflanzen fallen, wo sie sofort festkleben. Es ist nicht sicher, ob das japanische Verfahren älter ist als die künstliche Befruchtung der Forellen, die Stephan Ludwig Jakobi im Jahre 1763 bekannt gab.
Aus: „Die Fische“ von Richard Gerlach -1950-
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