Raubtier „Wasserläufer“

Wasserläufer – Das Raubtier auf der Wasseroberfläche –
Flach und langgestreckt liegen sie wie exotische Boote auf dem Wasser von Tümpeln, Seen und Bächen: ein schlanker Körper, getragen von langen Beinen, die weit ausladend dem Tier die entfernte Gestalt eines Katamarans geben, sind seine Kennzeichen.
So überlaufen die Wasserläufer unter ihren Füßen hüpfende Wellen und trotzen dem Wirbel der Strömungen. Nur stärkere Winde und der Regen treiben sie in den Pflanzengürtel der Uferbereiche, um dort Halt und Schutz vor den klimatischen Widrigkeiten zu suchen. Durch schnelle Stoßbewegungen ihrer Beine getrieben, gleiten sie mühelos über die Wasseroberfläche und vereinen bei minimalem Kraftaufwand Schnelligkeit und Eleganz in einer reibungslosen Fortbewegung. Winterbilder eines geruhsamen Schlittschuhläufers oder Erinnerungen der Kindheit lassen sich mühelos assoziieren.
Doch die Wasserläufer kennen nicht die schmerzhaften Unfälle, die wir uns aufgrund der für diese Sportarten eher ungünstigen aufrechten Körperhaltung in den ersten Monaten des Erlernens zuziehen. Der Motor der genetischen Wandlungen passte ihren Körperbau im Evolutionsverlauf dem Lebensraum optimal an. Zum Erreichen einer stabilen Lage auf der Oberfläche des wogenden und ständig durch den Wind getriebenen Elements selektierte der Werdegang durch die vergangene Ewigkeit eine tiefe Haltung des Tierkörpers.
Erreicht wurde dies, indem die Hüften der Extremitäten nicht, wie bei den Insekten üblich, auf der Bauchseite der Brust liegend, sondern seitlich abwanderten und nun „neben“ dem Körper ansetzen.
So gewinnt der Wasserläufer einen sehr tiefen Schwerpunkt, vermag extrem flach über das Wasser zu gleiten und mit seiner breitbeinigen Haltung manchen Wellengang beschreiten. Auch der für die Fortbewegung ideale Beinschlag ist so bequem, gleich der Blattführung eines Ruderers, seitlich des Körpers durchzuführen.
Sogar auf dem Ozean
Die ideale Konstruktion der Körpermechanik ermöglicht den Wasserläufern Extrembereiche zu besiedeln – so mit der Gattung Halobates, die, einzigartig im Reich der Insekten, auf dem endlosen Wasserspiegel des Ozeans ihr Zuhause hat. Zu Tausenden schaukeln sie hier zwischen den Kämmen und Kronen, frei von biologischer Notwendigkeit, in irgendeiner Lebensphase an -das Hunderte von Kilometern entfernte Land- zurückzukehren. Um ihren Eiern die Entwicklung zu ermöglichen, greifen sie auf tierisches und pflanzliches Treibgut zurück und heften sie an herumtreibenden Tang, Schneckenhäuser oder einzelne Federn.
Durch den funktionalen Umbau des Körpers sind Wasserläufer an ihren schwankenden Lebensraum relativ fest gebunden. Ähnlich einer Ente, die mühelos auf dem Wasser zu rudern versteht, jedoch am Ufer wie ein nasser Sack daher-watschelt, endet die Eleganz des Wasserläufers jenseits der Wasserlinie. Sollte aufziehende Gefahr das Tier dazu zwingen, den Fluchtweg auf das Land zu verlegen, verwandelt sich der souveräne Wassergleiter in ein Chaos unkoordinierter und hektisch wirkender Bewegungen.
Angesichts solcher Unzulänglichkeiten versucht der Wasserläufer natürlich, Landfluchten und andere Gänge auf festem Boden tunlichst vermeiden. Doch wenn der Herbst die Blätter von den Bäumen holt, Beutetiere spärlicher vom Wasserspiegel zu lesen sind und das Wasser zum festen Untergrund zu gefrieren droht, dann verlässt auch der Wasserläufer seine Sommerresidenz, wandert oder fliegt, je nach Fähigkeit, über Land und verkriecht sich im Laub und anderen Nischen am Boden, um die Eiszeit zu überdauern.
Es wird ein Rätsel der Evolution und ihrer Mechanismen bleiben, wie viele Versuche die Vorfahren unserer heutigen Wasserläufer unternommen haben, um das Wasser begehen zu können; wie viele dieser Experimente mit dem Ertrinken endeten und wie die Genetik dann endlich das Erfolgsrezept erlernte.
Denn es sind nicht nur die feinen Haare an den Extremitäten, mit denen die Tragfähigkeit des Wassers aufgrund seiner Oberflächenspannung ausgenutzt wird; nicht nur die seitliche Verlagerung der insektentypischen Fußkrallen weg vom Extremitätenende, wo sie die Wasseroberfläche leicht durchstoßen würden und dem Gang über das Wasser ein Ende setzen würden. Darüber hinaus werden die Beine mit einer der Mundöffnung entnommenen Flüssigkeit eingefettet, um die Wasserabstoßung der Füße weiter zu erhöhen.
Da jedoch nicht alle Extremitäten aufgrund ihrer Länge und Sperrigkeit am Mund vorbeigeführt werden können, muss das Fett von Bein zu Bein weitergereicht werden, indem die noch zu versorgende Extremität an den bereits eingefetteten gerieben wird.
Lebenswichtige Körperpflege
Wie wichtig diese Körperpflege im surfenden Leben der Tiere ist, wird deutlich, wenn sie ihr Greisenalter erreichen, die Kraft zur sorgfältigen Pflege nachlässt oder aber der Körper nicht mehr das Fußfett in ausreichender Menge und Qualität zu produzieren vermag. Dann sinken die Tiere allmählich im Wasser ein, verlieren den Halt, und das Element ihrer bisherigen Sicherheit wird zur todbringenden Erstickungsfalle.
Ihre mobile Unsicherheit auf dem Lande haben die Wasserläufer zum Teil mit der Eroberung des Luftraumes kompensiert. In den Monaten der Hitze kann diese Fähigkeit durchaus lebensnotwendig werden. Wenn die Sonne die Gewässer und die Atmosphäre erwärmt hat und einige Wasserstellen auszutrocknen beginnen, ist es kein seltenes Erlebnis, die Tiere beim schnellen Sturzflug auf die restlichen Wasserflächen einfallend zu beobachten.
Bei genauerer Betrachtung wird man feststellen, dass nur zwei Beinpaare zum Laufen entwickelt sind. Das vordere beteiligt sich nicht oder kaum an der Fortbewegung. Diese Extremitäten sind kleiner und werden winklig in der Nähe des Stechrüssels gehalten. Sie sind ebenso wichtig wie ihre längeren, körpertragenden Pendants, denn ihnen fällt die Aufgabe zu, Beute zu machen bzw. diese festzuhalten. Beute, die auf die Wasseroberfläche fällt, zu ergreifen und dem kräftigen Rüssel zuzuführen, der beim Einbohren in die chitinisierten Körper seiner Opfer kaum einen Widerstand scheut. Selbst Insekten mit dickem, schützendem Panzer sind diesem Fresswerkzeug ausgeliefert, werden erfolgreich flink perforiert und ausgesogen.
Wasserläufer sind Raubtiere, die flach geduckt auf die hektischen Wellenbewegungen der auf dem Wasser aufschlagenden Tiere und ihrer hilflos um sich greifenden Bewegungen achten. Mit langen, an ihren Beinen sitzenden Sinneshaaren wird die Oberfläche abtastend beobachtet. Erst wenn sich der Wasserläufer bis auf etwa 20 cm an das erstickende und zappelnde Tier „herangetastet“ hat, vermögen seine Augen das Ziel seines Hungers zu orten. So nähern sie sich allmählich von allen Seiten, scharen sich wie die Schakale um ihr Opfer und gehen es an.
Ist dieses ein großer Brocken, der durch seine hilflosen, doch starken Bewegungen noch zu viel Leben aufweist, weichen sie schnell zurück und warten, bis dessen Kräfte nachlassen. Auch durch den Verzehr von Aas, zu dem sie durch den gut entwickelten Geruchssinn ihrer Antennen geführt werden, können sie ihren Energiebedarf decken. Wenn der Frühling sich gerade in der Landschaft eingerichtet hat, beginnt die Fortpflanzungsperiode der Wasserläufer, die sich über zwei Monate hinziehen kann. Tagelang trägt das Weibchen den meist kleineren Geschlechtspartner auf seinem Rücken mit sich umher, ohne dass es in seiner Behendigkeit eingeschränkt werden würde.
Die Eier sind von länglich-ovaler Form und weisen eine überraschende Größe auf. Je nach Art fallen sie weit über 1 mm bis fast 2 mm Länge aus. Sie werden einzeln oder in langen Bändern an Pflanzenteilen und ähnlichem Substrat dicht unter der Wasseroberfläche angeklebt. Manche Fundorte lassen vermuten, dass das eilegende Weibchen tief ins Wasser tauchen musste, um einen als geeignet befundenen Ablageplatz zu erreichen.
Dem Lebensraum angepasst
Nach einer, bis drei Wochen, schlüpfen bereits die Larven. Bevor sie sich jedoch den Wasserspiegel als Lebensraum erobern, versinken sie nach dem Schlupf im Wasser, um erst nach einer gewissen Zeit aufwärts zu rudern, an die Oberfläche zurückzukehren und das übliche Leben eines Wasserläufers aufzunehmen.
Neben den bekannten Wasserläufern aus der Familie der Gerriden existieren weitere Gruppen, wie z.B. die der Teichläufer, deren Körperbau stark von der bisherigen Beschreibung abweicht und eher dem gewohnten Bild eines Insektes entspricht oder die der Bachläufer – die als morphologischer Kompromiss zwischen den beiden einheimischen Extremformen gelten können. Schon der unterschiedliche Körperbau der übrigen Wasserläufergruppen weist darauf hin, dass sie nicht die gleichen Bereiche eines Gewässers besiedeln wie die ausführlich vorgestellten Gerriden.
So meidet der zierlich-nadelige Teichläufer die offenen Wasserflächen, denn er wäre aufgrund seines zarten Körperbaus der Verdriftung durch Winde hilflos ausgeliefert. Er hält sich bevorzugt in Ufernähe zwischen Pflanzen und ihren abgestorbenen Teilen auf, läuft eher gemächlich, bedächtig und verfügt nicht über das flotte Sprungvermögen seiner Verwandten. Im Gestrüpp der Ufervegetation wären diese Form der Fortbewegung und die hierfür erforderlichen körperlichen Voraussetzungen überflüssig, je eher hinderlich.
Die Bachläufer, im Habitus die wohl robustesten Vertreter der Wasserspiegel-Bewohner, nehmen es dagegen sogar mit der Unruhe von Fließgewässern auf, doch können sie auch durchaus einmal vom plätschernden Nass gepackt und untergetaucht werden, ohne dass sie Schaden nehmen müssen.
J. Pfau

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