Zur Reizwirkung künstlicher Köder – 1981 –
Welche biologischen und sinnesphysiologischen Gesichtspunkte sind dafür mit maßgeblich, dass wir unsere Sportfische zu einem großen Teil mit künstlichen Ködern, speziell mit der Spinnangel, überlisten können? Diese Frage spielt in Diskussionen der Sportangler oft eine große Rolle. Deshalb wird nachstehend der Versuch unternommen, die gesicherten Kenntnisse auf diesem Gebiet auszuwerten und so zur Beantwortung dieser Frage aus der Sicht des Sportanglers beizutragen.
Die Futterreaktion der Fische wird bekanntlich von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die wissenschaftlich mehr oder weniger genau erforscht sind. Es sind einerseits Faktoren, die artspezifisch sind, andererseits aber auch als äußere Bedingungen, d.h. als Umweltbedingungen, auf den Fisch einwirken können und sein Verhalten bestimmen.
Zu den artspezifischen Faktoren zählt z.B. die Unterscheidung in Warm- und Kaltwasserfische. So hat der Hecht als typischer Kaltwasserfisch auch im Winter einen regen Appetit, während Aal und Karpfenartige ihre Nahrungsaufnahme mit abnehmender Wassertemperatur einschränken, ja zum Teil sogar einstellen. Äußere Bedingungen wie Wassertrübung, pH-Wert-Veränderungen des Wassers, enorme Temperaturschwankungen usw. beeinflussen ihrerseits die Futterreaktion der Fische. Natürlich ist es nicht nur die Fressgier, die den Fisch zum Biss auf den Kunstköder reizt. Die Gründe, die den Fisch zum Biss veranlassen, sind sehr komplexer Natur. Sie reichen vom Hunger über den Futterneid, die Neugier, die Gewohnheit bis hin zur Angriffslust und sind voneinander vielfach nicht abgrenzbar. Den Sinnesorganen der Fische und ihren Leistungen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Man unterscheidet bei den Fischen mechanische, thermische, chemische und optische Sinne. Für die hier gestellte Frage, warum der Fisch auf den Kunstköder beißt, kommt den mechanischen Sinnen sowie den optischen Sinnen eine besondere Bedeutung zu. Wie ausgeprägt, wie zielsicher sind diese Sinne überhaupt? Diese Frage zwingt sich auf, wenn man einmal einen unförmigen Blinker mit einem eleganten Futterfisch oder eine ruppige künstliche Maifliege mit dem zarten natürlichen Insekt vergleicht. Wie ist es möglich, dass unsere Sportfische immer wieder auf diese primitiven Täuschungen hereinfallen? Diese Frage zu beantworten, ist das eigentliche Ziel dieses Beitrages. Gleichzeitig sollen einige praktische Schlussfolgerungen für das Spinnangeln vermittelt werden.
Die mechanischen Sinne…
…der Fische umfassen den Tastsinn, den Strömungssinn, den Schweresinn, den Gehörsinn und den hydrostatischen Drucksinn. Wir wollen uns den Tastsinn, den Strömungssinn und den Gehörsinn etwas näher ansehen, da sie diejenigen mechanischen Sinne sind, die beim Biss auf den Kunstköder, insbesondere auf den Spinnköder, eine vordergründige Rolle spielen. Zunächst zum Tastsinn und zum Strömungssinn: Diese Sinne der Fische sind derzeit noch ziemlich unzureichend erforscht, dennoch gibt es aber bereits einige interessante Feststellungen. Fische besitzen zahlreiche freie Nervenendigungen, die über den ganzen Körper verteilt sind und der Wahrnahme von Tastreizen dienen. Wie bereits angedeutet, kommt dem Tastsinn bei der Nahrungsaufnahme eine besondere Bedeutung zu. Nicht umsonst befinden sich dabei in der Lippengegend und im Maul der Fische besonders viele dieser Sinneszellen. Sie haben – stichhaltige Experimente mit Hechten belegen das – die Aufgabe, aufgenommene Nahrung im Maul in eine solche Position dirigieren zu helfen, dass sie mühelos geschluckt werden kann. So wird dem Hecht über den Tastsinn vermittelt, dass zum Beispiel ein Beutefisch im Maul so lange gedreht werden muss, bis er mit dem Kopf voran gedreht werden muss, bis er mit dem Kopf voran verschlungen werden kann.
Natürlich ist dieser Tastsinn von Art zu Art unterschiedlich ausgeprägt. Er ist es auch, der – immer im Zusammenspiel mit den chemischen Sinnen, speziell dem Geschmackssinn – es dem Fisch in Bruchteilen einer Sekunde ermöglicht, eine aufgenommene künstliche Fliege als ungenießbar zu erkennen und sie auszuspucken, falls der Anhieb auch nur etwas zu spät kommt. Nicht anders ist es beim verfehlten Biss der Bachforelle oder des Hechtes auf den Spinner. Gewöhnlich folgt der Fisch dem verpassten, und dann meist auch schon als Täuschung erkannten Spinner nicht, um erneut zuzufassen, wobei es natürlich auch gegenteilige Beispiele gibt. Anders ist es schon, wenn ein solcher Fisch nach kurzer Pause erneut angeworfen wird, erforderlichenfalls mit einem anderen Spinnermuster. Obwohl der Strömungssinn in der Literatur teilweise als selbstständiger mechanischer Sinn ausgewiesen wird, ist er doch in Wirklichkeit nur eine besondere Erscheinungsform des Tastsinns. Nicht zufällig bezeichnete SCHINDLER ihn deshalb auch als „“Ferntastsinn“. Hauptsächlich durch die Seitenlinie werden den Fischen die Strömungsverhältnisse vermittelt. Die Seitenlinie besteht, um es vereinfacht auszudrücken, aus nebeneinanderliegenden, winzig kleinen Kanälen, in denen gruppenweise Sinneszellen angeordnet sind. Die Sinneszellen tragen wiederum kleinste Gallertzylinder, die wie Mikrosensoren arbeiten. Sowie auch nur eine leichte Strömung oder eine durch Erschütterungen bzw. Wasserbewegungen verursachte Druckwelle auf diese Gallertzylinder trifft, werden Sie zur Seite gedrückt, reizen dadurch ihrerseits darunter liegende Sinneszellen, die dann entsprechende Signale über die Nerven an das Gehirn der Fische geben.
Zusätzlich zu dem Seitenorgan verfügen die Fische über Sinneszellen, die sich in der Kopfregion befinden. Sie sind in grubenartigen Vertiefungen und Poren des Kopfes eingebettet und sind insbesondere beim Hecht, beim Barsch, aber auch bei der Quappe und beim Aal zu beobachten. Die Natur hat auch hier keine zufälligen Entwicklungen zugelassen. So ist es leicht verständlich, dass gerade räuberische und nachtaktive Fischarten auf gut ausgebildete „Ferntastorgane“ angewiesen sind, denn wie sollen sie sonst ihren Nahrungsbedarf erbeuten? Mit Hilfe dieser Sinnesorgane können beispielsweise Hechte heeranschwimmende Futterfische sehr genau orten und danach gezielt angreifen. Wie stark die Leistungen dieser Organe ist, verdeutlichen Versuche, die mit erblindeten Hechten, Barschen und Quappen durchgeführt wurden. Mit Fischen also, deren optische Sinne ausgeschaltet waren. Diese Fische schnappten nach Holzklötzchen und anderen Gegenständen, die in gewissem Abstand an ihren Kopfpartien entlang geführt wurden. Gleichsam gibt es in der fischereibiologischen Fachliteratur hinreichende Schilderungen, nach denen erblindete Raubfische ganz zielsicher und nicht etwa zufällig lebendes Futter aufnehmen. Übrigens bestätigt diese Aussage auch die Tatsache, dass Hechte, die in küstennahen und Küstengewässern einer zu starken Salzkonzentration ausgesetzt sind, erblinden und dennoch in der Lage sind, Nahrung zu finden und zu leben.
Was den Gehörsinn der Fische betrifft, so ist auch dieser eindeutig vorhanden, obwohl wegen des bei Fischen nicht vorhandenen Gehörganges und des ebenfalls nicht vorhandenen Mittelohrs lange die Auffassung vertreten wurde, dass Fische überhaupt nicht hören könnten. Dass ostasiatische Völker jedoch schon im Altertum mit Hilfe von Trommeln, Klappern und Rasseln bestimmte Fischarten zu ausgewählten günstigen Fangplätzen lockten und auch der Wels im unteren Donaubereich mit einem speziellen Holzinstrument, welches quakend-knarrende Töne ins Wasser ausstrahlt, angelockt wird, widerlegt diese These. Tatsächlich können Fische hören. Sehr gut sogar; ihre Hörschale gleicht der hochentwickelter Säugetiere, wenngleich es auch hier von Art zu Art Unterschiede gibt. Dennoch unterscheidet sich das Hörvermögen der Fische von dem anderer Lebewesen erheblich. Fische können Schallschwingungen, die sich im Medium Wasser gegenüber der Luft übrigens um ein Vielfaches schneller und auch besser ausbreiten, zwar hören, sie können die Schallquelle aber exakt feststellen, was auf den relativ einfachen Bau des Gehörganges der Fische zurückzuführen ist.
Die optischen Sinne…
… sind bei den Fischen ebenfalls sehr differenziert ausgeprägt. Fische haben die Fähigkeit des Helligkeitssehens, des Richtungssehens, des Bewegungssehens, des körperlichen Sehens, des Formsehens und des Farbsehens. Natürlich sind diese Sehfähigkeiten der Fische ebenfalls von Art zu Art unterschiedlich entwickelt. Oder anders formuliert: Die Leistungsfähigkeit der optischen Sinne ist den praktischen Lebensbedürfnissen der jeweiligen Art entsprechend angepasst. Fische mit gutem Sehvermögen haben allgemein große Augen (Forellenartige). Nachtaktive Fische haben dagegen sehr kleine und weniger leistungsfähige Augen (Wels, Aal). Doch sind die letztgenannten Arten gegenüber denen mit sehr leistungsfähigen optischen Sinnen keinesfalls in der Hinterhand. Die Natur hat sie dafür mit wesentlich besser entwickelten Tast- und Geschmackssinnen ausgestattet.
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