Vom Karpfen
Der schlaue, vorsichtige Karpfen bezaubert viele tausend Angler in aller Welt. Er zählt zu den größten, intelligentesten und kampffreudigsten unter unseren Süßwasserfischen.
Aber der Karpfenkult wird nicht nur seine äußere Anziehungskraft angeregt. Ein Zauber ist um diese Fischart entstanden, der viele Angler veranlasst, jede freie Minute am Ufer zu verbringen auf der Jagd nach einem einzigartigen „Monster-Karpfen“.
Das Karpfenangeln hat sich in den letzten zehn Jahren radikal verändert. Neue Techniken ermöglichen dem Karpfenspezialisten, sich ausschließlich seiner gewünschten Beute zu widmen. Und wenn sich ein Bissanzeiger bewegt oder ein Wirbel die Pose hebt, weiß er, dass ihn nur noch Sekunden von der Sensation trennen, wenn großer Karpfen mit dem Köder abzieht.
Vor 25 Jahren konnte der Angler glücklich sein, wenn er von einem Gewässer wusste, dass es überhaupt einen zweistelligen Karpfen beherbergte, und dann noch, wie dieser zu fangen sein. Heute ist bekannt, welche Gewässer Fische von 10 kg und mehr beherbergen. Mit einer Grundausrüstung und einem Beutel Boilies gibt es theoretisch nichts, was den Angler davon abhalten könnte, einen großen Fisch zu fangen. Einige Gewässer sind Lebensraum von 50 oder mehr Karpfen in der 10-kg-Klasse. Das erhöht natürlich die Chance, dass sich die Erwartungen erfüllen. Und außerdem haben sich Köder und Zubehör so rapide fortentwickelt, dass sie schon fast garantiert, einen Karpfen zu fangen, wenn der Angler ausreichend Zeit und Mühen investiert.
Und doch schwer zu fangen
Aber die Chancen sind nicht nur einseitig. In vielen gut besetzten Gewässern haben auch die Karpfen schnell gelernt und sind um so schwerer zu erbeuten. Wer sich darauf einlässt, nur die Großkarpfen solcher Gewässer zu beangeln, kann bisweilen die Bisse einer ganzen Saison an einer Hand abzählen. Einige hochmotivierte Karpfenspezialisten begegnen dieser Herausforderung damit, ihr Fischen über alles andere zu stellen – einschließlich beruflicher Arbeit, Familie und Privatleben. Es gibt in England Karpfenangler, die nur außerhalb der Saison ganztags arbeiten, damit sie sich ohne Einschränkungen die ganze Saison über auf das Fischen konzentrieren können. Andere haben überhaupt keine Arbeit und verbringen die Schonzeit damit, aussichtsreiche Stellen anzufüttern oder Fische zu beobachten. Aber kaum einer hält diesen extremen Lebensstil lange durch.
Die Saison der Karpfenangler beginnt in England am 17. Juni und endet am 13. März. Häufig sitzen fanatische Angler schon zwei Wochen bei ihrem Zelt am Ufer, um sich für den Saisonbeginn den besten Platz zu sichern, den sie vorher wochenlang angefüttert haben. An vielen Gewässern wird die Saison Punkt Mitternacht mit einem Feuerwerk eröffnet. Ergebnis dieser freudigen Feier ist natürlich, dass auch die Karpfen sofort Bescheid wissen und sich auf ihren Schleichwegen in geheime Ecken verziehen, aus denen viele von ihnen erst nach Ende der Saison wieder hervorkommen. Es ist klar, dass diese Fische niemals gefangen werden können. Nur ein einsamer Beobachter wird sie sehen können, wenn sie sich außerhalb der Angelsaison bis ans Ufer wagen. Dort zeigen sie sich offen und lassen sich sogar füttern.
Das sind natürlich eher die Extreme. Aber wem Karpfenfischen völlig neu ist, der sollte doch wissen, dass es zur Leidenschaft werden kann. Die meisten Karpfenangler sind allerdings ausgeglichener in ihrer Passion und erkennen, dass der wirkliche Inhalt der Sache in Vergnügen und Erholung liegt.
Erfolgsfaktoren
Welche Voraussetzungen führen nun beim Karpfenfischen zu dauerhaftem Erfolg? In überbesetzten Gewässern gibt es keine großen Fangschwierigkeiten. Hier sind die Karpfen ständig hungrig. Ausgereifte Köder und Montagen führen dort leicht zu Ziel. Aber in Gewässern, wo die Karpfen zum Überleben nicht auf das Futter der Angler angewiesen sind, sieht die Sache schon ganz anders aus. An härteren Gewässern wird immer nur der geschicktere Angler zu den Erfolgreichen gehören. Es gibt vier zentrale Faktoren, die daran beteiligt sind, dauerhaft gute Ergebnisse zu erzielen; Gewässerkenntnis, Lokalisierung, also Aufspüren der Fische, Anbieten des Köders und Selbstvertrauen.
Gewässerkenntnis
Es ist sehr schwer, jemandem ein Gespür für das Gewässer beizubringen. Entweder ist ihm eine Art Jagdinstinkt angeboren oder nicht. Aber auch die Fähigkeit, an einen Fisch heranzuschleichen, ohne dass er den Angler wahrnimmt, ist unerlässlich.
Lokalisieren
Das erfolgreiche Aufspüren der Fische ist häufig fast ein Geheimnis. Es ist wirklich kinderleicht, wenn die Karpfen in klarem Wasser schwimmen oder sich an der Wasseroberfläche herumtreiben, Blasen aufsteigen lassen oder springen. Aber wenn es keine sichtbaren Zeichen gibt, dann hilft nur die eigene Erfahrung. Der Angler braucht so etwas wie einen sechsten Sinn, um herauszufinden, wo sich die Fische jeweils aufhalten.
Anbieten
Ist ein Fisch ausgemacht und hat sich der Angler angeschlichen, kommt es darauf an, ihm den Köder auf die richtige Art anzubieten. Sollte der Angler nun dem Karpfen den Köder gleich direkt vor die Nase setzen oder abwarten und später versuchen, den Fisch zu überlisten? Oder ist es gar besser, erst einmal anzufüttern, damit die Karpfen vertrauensvoll fressen, bevor riskiert wird, einen Hakenköder anzubieten? Wäre die Haarmethode oder ein Köder auf dem Haken vorteilhaft? Können die Fische am besten mit einem aufsteigenden Köder, einem Grundköder oder an einer Oberfläche gefangen werden? Dies sind grundsätzlich Erwägungen, und der Leser wird nun genug erfahren, um seine Entscheidungen am Wasser sicher treffen zu können.
Selbstvertrauen
Ohne Selbstvertrauen kann der Angler besser gleich wieder einpacken und nach Hause gehen. Er muss an seine Fangmethoden glauben, um erfolgreich zu sein. Nur wenn alle vier genannten Voraussetzungen zusammenkommen, lassen sich regelmäßig Karpfen fangen. Das macht die Scheidegrenze aus zwischen dem erfolgreichen Karpfenangler und dem, der gelegentlich mal einen Fisch erbeutet, ohne so recht zu wissen warum.
Winterleuchten
Früher wurden Karpfen nur vom Frühjahr bis zum Herbst beangelt. Jedermann war überzeugt, dass sie im tiefen Winter wegen ihres „Winterschlafes“ unfangbar seien. Aber die Pioniere des Winterangelns haben bewiesen, dass dies ein Märchen war. Heutzutage werden z.B. in England die Karpfen das ganze Jahr hindurch gefangen, abgesehen von der Schonzeit. In einigen Gewässern ist der Erfolg sogar größer als in der warmen Jahreszeit.
Natürlich verlangsamt sich der Stoffwechsel in kälterem Wasser, aber die Karpfen kämpfen ganz sicher nun genauso heftig wie im Sommer. Ihre natürlichen Farben sind verstärkt und scheinen fast zu leuchten. Es gibt nichts Reizvolleres, als einen großen Fisch unter erschwerenden Bedingungen zu fangen, besonders wenn dabei der Schnee unter den Stiefeln knirscht.
Aus: Große Karpfen –von Andy Little- 1988 Verlag Paul Parey aus dem Englischen übersetzt von Vincent Kluwe
Über Karpfenrassen, Nahrungsketten usw. gibt das Buch: „Große Karpfen“ Angeln noch mehr Auskunft!