Aberglaube – Poesie des Angelns
Die Kunst Fische zu fangen ist eine althergebrachte Beschäftigung, deren Wurzeln tief in der Vergangenheit verankert sind. Die Urmenschen waren die ersten Angler. Im nebligen Morgen der Frühgeschichte zogen sie mit Rute, Schnur und Haken zum Fischfang, fast genau so wie wir Angler es heute noch tun. Die geheimnisvolle Natur war für sie beseelt, mit Göttern und Dämonen belebt. Sie richteten sich beim Fischfang nach magischen Ritualen, die wir z.T. noch heute bei den „Primitiven“ in fernen Zonen finden. Zauberer orakelten und der Aberglaube stand bei ihnen, mehr noch als bei uns heute, in Blüte. Fast könnte man sagen, wir Angler von heute seien die letzten Urmenschen, denn der Aberglaube spielt auch bei und unserem oft närrischem Treiben keine unwesentliche Rolle, wenn wir das auch nicht gerne wahrhaben wollen. „Der Aberglaube, in dem wir aufgewachsen, verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum doch seine Macht nicht über uns. Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten“, meinte schon Gotthold Lessing.
Wer von uns gibt schon zu, dass er abergläubisch ist? Wir sind ja schließlich fortschrittliche Zeitgenossen des aufgeklärten, technischen 20. Jahrhunderts! Sind wir es wirklich? Wer von uns geht schon gern und voller Hoffnung an einem Freitag, dem 13. eines Monats, einem solchen Unglückstag angeln? Da ziehen wir schon lieber den 7. vor, weil 7 ja eine Glückszahl ist. Wer von uns hat nicht schon hin und wieder in sein Horoskop geschielt, selbst wenn er –selbstverständlich – nicht an diesen Unsinn glaubt? Wer verlässt sich beim Angeln nicht gern auf die Solar – Lunar – Perioden, obwohl noch keineswegs bewiesen ist, dass diese Beisszeitenberechnung auch wirklich und überall stimmt? Manche steigen auch nicht gern mit dem linken Bein aus dem Bett, weil das Unheil bedeuten könnte. Kreuzt eine schwarze Katze unseren Weg von links nach rechts, dann wissen wir schon, dass wir an diesem Tag nichts Besonderes fangen werden, weil ein Unglück bekanntlich selten alleine kommt. Wir spucken auf den Wurm am Haken und murmeln toi, toi, toi, weil wir uns durch diesen Zauberspruch Erfolg versprechen. Einen untermaßigen Fisch setzen wir behutsam in sein nasses Element zurück und bitten ihn, uns seinen Großvater an die Angel zu schicken. Haben wir zwei Fische gefangen, dann ist uns klar, dass wir noch einen dritten Fisch fangen werden, weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind. Wir stecken die Schuppe eines Karpfens in unsere Geldbörse, weil sie uns verbürgt, dass unser „Groschengrab“ ein Jahr lang nicht leer sein wird. Der Zahn eines Kapitalen an unserem Anglerhut beweist nicht nur unser Können, sondern er schenkt uns auch Kraft und Glück für weitere große Fänge. Hören wir beim Nachtangeln ein Käuzchen schreien, dann rätseln wir gleich, wer jetzt wohl sterben wird. Mancher versteht auch die Kunst des Kartenlegens. Die Patience muss aufgehen, wenn wir beim Angeln Erfolg haben wollen. Noch viele andere Weissagungen und Wahrsager, an die wir teils mehr, teils weniger glauben, spielen ihre Rolle. Nur aus dem Kaffeesatz können wir nicht mehr lesen, seitdem der Kaffee gefiltert wird. Sind schließlich diejenigen von uns, die fest davon überzeugt sind, die Angelkunst perfekt zu beherrschen, im Grunde nicht ebenso abergläubisch wie wir alle, die wir immer wieder unverzagt unsere Angel in das undurchschaubare Wasser versenken und meinen, gerade hier einen großen Fisch zu fangen, dessen Existenz keineswegs nachgewiesen ist, an den wir aber mit der ganzen Kraft unseres Herzens glauben, als könnten wir ihn dadurch herbeizaubern?
Was den Aberglauben betrifft, sind wir Angler fürwahr die letzten Urmenschen – trotz unseres Glaubens an den Fortschritt und unseres aufgeklärten Gehabens. Wir wollen das gar nicht verheimlichen und brauchen uns darüber gewiss nicht zu schämen, denn „der Aberglaube ist die Poesie des Lebens“, wie schon Goethe sagte, der tiefer blickte als mancher kluge Zeitgenosse. In Abwandlung des Goethewortes können wir sagen, dass der Aberglaube die Poesie des Angelns ist. Ohne diese Poesie wäre das Angeln eine überaus langweilige, sachliche, hoffnungslos nüchterne und berechenbare Angelegenheit, an der niemand mehr seine rechte Freude hätte. Lassen wir deshalb das poetische Pflänzchen Aberglaube nicht verkümmern, bleiben wir lieber wie wir sind, wenn wir auch manchmal nicht in unsere nüchterne Zeit zu passen scheinen. Es gibt Wahrheiten, die sich nicht beweisen lassen, und mehr Dinge zwischen Himmel und Erden als unsere Schulweisheit sich träumt. So ziehen wir immer wieder – wie einst die Urmenschen – in der nebligen Frühe mit Rute, Schnur und Haken, voller Hoffnung und nicht ohne ein Quentchen Aberglaube, um Fischfang und finden dort unser kleines Glück.
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