Gönnt den Opas ihr Vergnügen

Gönnt den Opas ihr Vergnügen
Als sie jung waren, wünschten sie sich Rentner zu sein, um angeln zu können wann immer sie wollten. Jetzt haben sie es geschafft und die jüngeren Angler beneiden sie darum. Alte Angler gibt es in jedem Verein, man trifft sie nicht nur in den Vereinslokalen, sondern zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter an unseren Gewässern. Ihre Gesichter sind herb wie Herbstlaub, ihre Haut ist von der Witterung gegerbt, aber ihre Augen glänzen noch immer wie die der Jungen, wenn sie einen Fisch gefangen haben oder vom Fang erzählen. Ihre Sprache wird überall verstanden, wo sich Angler begegnen.
Unsere Alten haben ein langes, hartes Berufsleben hinter sich, sind dabei alt geworden und doch innerlich jung geblieben bei ihrem Hobby, dem sie – allen Gewalten und körperlichen Gebrechen zum Trotz – die Treue gehalten haben. Und sie gehören zu ihrem Gewässer wie die Fische und die Vögel, die Büsche und die Bäume. Ein Verein ohne alte Angler ist wie ein Gewässer ohne kapitale Fische. Wer meint, die „alten Opas“ könnten nicht angeln gehen und sollten lieber zu Hause bleiben, wird sich wundern, wenn er ihnen beim Angeln zuschaut. Das sieht alles so einfach und selbstverständlich aus, wenn sie ihre Angel bestücken, auswerfen und dann einen Fisch auf die Schuppen legen. Kunst kommt von Können. Unsere Alten können angeln, sie verdienen unsere Anerkennung und unseren Respekt. Ein Leben lang haben sie gelernt, auch beim Angeln. Die Jüngeren können von ihnen Ruhe und Gelassenheit, Ausdauer und Geduld, Routine und Angeltechnik und viele Tricks lernen. Wenn die Alten oft mehr fangen als die jungen „Avantgardisten“, dann liegt das nicht daran, dass sie an jedem Tag angeln können, wann sie wollen, sondern an ihren langjährigen Erfahrungen. Sie angeln nicht jeden Tag, an den Wochenenden räumen sie (meistens) gern den berufstätigen Sportfreunden das Feld. Unsere Alten haben ein inneres Barometer, das ihnen ziemlich genau anzeigt, bei welcher Witterung es sich lohnt, angeln zu gehen und wann nicht. Sie haben auch den richtigen „Riecher“, wann und wie man welche Köder am erfolgversprechendsten anbietet. Sie sind geduldiger als die jüngeren Stürmer und Dränger, nicht so erfolgsbesessen, und machen nicht zuletzt deshalb oft erstaunliche Fänge.
Mit ihren jahrzehntelangen Erfahrungen sind die Alten wertvolle Mitglieder unserer großen Anglerfamilie. Sicherlich gehört den Jungen die Zukunft, die Erfahrungen der Alten aber können ihnen manche Enttäuschungen, Fehlschläge und Misserfolge ersparen. Was die Alten für ihren Verein, seine Gewässer und Fische bedeuten, merken wir meist erst, wenn sie uns für immer verlassen haben. Dann klafft eine Lücke, die nur schwer und oft erst nach Jahren wieder zuwächst.
Gönnen wir ihnen ihre Freude, wir werden ja schließlich alle einmal alt…

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